- Emigration: Politische Emigration
- Emigration: Politische EmigrationWas ist Emigration?Ein Emigrant ist eine Person, die sich aus politischen, sozialen, weltanschaulichen oder religiösen Gründen oder wegen Diskriminierung und Verfolgung infolge einer rassistischen Politik gezwungen sieht, das heimatliche Staatsgebiet zumindest vorübergehend zu verlassen.Die Emigration als aktiv-politische Flucht von Systemgegnern schließt in der Regel die Fortführung der oppositionellen Tätigkeit im Exil mit dem Ziel der späteren Rückkehr ein; die Emigration als passiv-politische Flucht, das heißt eine Emigration aufgrund von Rassegesetzen sowie wirtschaftlicher Unterdrückung oder Benachteiligung, strebt meist die rasche Eingliederung im Aufnahmeland an. Umstritten ist der von dem Schriftsteller Frank Thiess 1933 geprägte Begriff der »inneren Emigration«, der nur formalen, scheinbaren Anpassung an ein gegnerisches System in der Hoffnung auf Ablösung.Um Gründe und Ausgangslage der Emigranten zu verstehen und nachzuvollziehen, müssen die Ursachen der Flucht sowie die politische, soziale und religiöse Struktur des verlassenen Gebiets genau analysiert werden. Das zweite wichtige Element der Flucht ist immer das Wohin. Diese Frage schließt auch eine strukturelle Analyse des Wohin sowie eine Untersuchung der Möglichkeiten zum Verbleiben und zur Rückkehr ein. Die Niederlassung hinter einer gemeinsamen Grenze wirft andere Probleme auf als die Niederlassung in großer Entfernung vom Ursprungsland. Man sollte nicht denken, dass die Flüchtlingsbewegungen über große räumliche Distanzen nur ein Symptom des 20. Jahrhunderts sind. Es gibt traditionelle Exilgruppen, die über Jahrhunderte weit weg von ihrem Ursprungsland ein Außenseiterdasein im Gastland fristen, zum Beispiel Juden, Chinesen, Inder oder Roma. Diese Gruppen sind auch Beispiele dafür, dass die Grenzen zwischen den Begriffen »Exilant« und »Flüchtling« fließend sind. Im Begriff »Flüchtling« liegt der Schwerpunkt auf dem Moment des Weggehens aus dem angestammten Gebiet, in dem des »Exilanten« die Vorstellung von der Existenz in einer fremden Gesellschaft. Das Wohin wird zuerst bestimmt von den Fähigkeiten, verschiedene Grenzen zu überwinden, um in ein ausgewähltes Gastland zu gelangen, jedoch auch von den Möglichkeiten der politischen und sozialen Akzeptierung sowie der eigenen Identitätsbewahrung.Der juristische Begriff »politisches Asyl« ist meist in seiner Definition auf den engagierten und exponierten Regimekritiker zugeschnitten. Dieser musste fliehen, weil er offen opponierte, wie zum Beispiel Persönlichkeiten der altgriechischen Elite. Hier spielt das Konzept der demographischen Masse keine Rolle, denn rein zahlenmäßig gibt es historisch gesehen wenig Flüchtlinge dieser Art. So waren die wirklich politischen Gegner des zaristischen Russlands zahlenmäßig nicht zu vergleichen mit den Strömen von Polen, Ukrainern und Juden, die im 19. Jahrhundert aus dem zaristischen Reich flohen. Der Flüchtling, historisch gesehen, ist immer eine Begleiterscheinung der menschlichen Geschichte gewesen. Einzelne Fluchtbewegungen haben die unterschiedlichsten Anlässe; diesen liegt jedoch immer die Ausgrenzung gewisser Gruppen ursächlich zugrunde. Ausgrenzungen dieser Art sind keine geschichtlichen und geographischen Grenzen gesetzt. Dies bedeutet, dass Flucht und Exil universale Phänomene sind.Emigration von der Antike bis ins 19. JahrhundertSchon die Bibel ist in großen Teilen eine Geschichte von mehrfacher Flucht und Exil. Die judäochristliche Geschichte begann mit einer von Gott verordneten Wanderung (1. Moses 12,1). Auch in der Literatur der griechischen Elite wird eine andere Art von Flucht, meistens die von politischen Eliten, exemplarisch dargestellt. Bereits 546 v. Chr. wurde von dem griechischen Schriftsteller Herodot über die griechische Stadt Phokaia in Kleinasien berichtet, deren Bewohner das Exil auf Korsika der persischen Belagerung vorzogen.Besonders die jüdische Geschichte ist eine Geschichte der Emigration, die sich durch die Jahrhunderte zog. Als Auswanderer siedelten sich die Juden, aus Palästina kommend, in Ägypten, in Griechenland, an den Küsten des Euphrat und Tigris an. In den bevorzugten Handelszentren bildeten sich die ersten jüdischen Kolonien. Zu Beginn des 1. Jahrhunderts n.Chr. verbreiteten sich die Juden in der damals bekannten Welt, über Babylon, Persien und Europa, bis sie im 5. Jahrhundert auch China erreichten; überall entstanden neue Zentren der Diaspora. Seitdem ziehen sich von Machthabern erzwungene Emigrationen durch die Jahrhunderte bis zur Gegenwart.Die Französische Revolution leitete eine weitere Welle der Emigration ein, die besonders die französischen Adligen betraf; diese Gruppe führte auch den Begriff der Emigranten (französisch: émigrés) ein. Im Zuge von Revolutionen und nach Scheitern derselben mussten im 19. Jahrhundert immer wieder politisch Aktive ihre Heimat verlassen, so auch nach der Revolution von 1848, in deren Anschluss viele Freiheitskämpfer für immer emigrierten.An der Person Leo Dawidowitsch Trotzkijs, der am 28. Oktober 1878 in der Ukraine geboren wurde, lässt sich das Emigrationsverhalten in unterschiedlichen Perioden aufzeigen. Bereits im Jahre 1902 floh er nach seiner Verhaftung aus Sibirien mit falschen Papieren nach Großbritannien. Nach Aufenthalten in Wien, Zürich und Paris kehrte er im Oktober 1905 nach Sankt Petersburg zurück und trat dort an die Spitze des Arbeitersowjets. Er wurde festgenommen und auf Lebenszeit nach Sibirien deportiert. Trotzkij floh erneut nach Wien, Paris und schließlich in die Vereinigten Staaten. Nach seiner Rückkehr im Jahr 1917 schloss er sich den Bolschewiki an. Als Organisator der Roten Armee hatte er großen Anteil am Sieg des bolschewistischen Russland am Bürgerkrieg. Nach Lenins Tod 1924 wurde Trotzkijs politische Karriere von Stalin beendet. Im November 1927 wurde er aus der Kommunistischen Partei ausgeschlossen und schließlich im Januar 1929 aus dem Gebiet der Sowjetunion ausgewiesen. Auf der Suche nach einem Asylland führte seine Reise über die Türkei, Frankreich und Norwegen 1937 nach Mexiko, wo er am 21. August 1940 unter ungeklärten Umständen ermordet wurde.Von der Oktoberrevolution (1917) bis zum Spanischen Bürgerkrieg (1936—39)Wachsende Mobilität und verbesserte weltweite Kommunikation kennzeichnen die hauptsächlichen Unterschiede zwischen dem 20. Jahrhundert und früheren Jahrhunderten. Im Zuge der russischen Revolution und des Bürgerkriegs gingen nach 1917 rund eine Million Russen in die Emigration. Mit ihren zahlreichen politischen Gruppierungen, kulturellen und sozialen Organisationen und einer umfangreichen Emigrationspublizistik fanden sie vor allem in Frankreich, Polen und Deutschland Aufnahme. Russische Emigranten beteiligten sich 1919/20 im Baltikum und in Polen sowie während des Zweiten Weltkriegs in den »Kosaken-Einheiten« und im »Russischen Schutzkorps« an den Kämpfen gegen die UdSSR.Nach dem Sieg des Faschismus in Italien verließen seit 1923 rund 180000 Emigranten (italienisch: fuorusciti) das Land, unter ihnen auch der Atomphysiker Enrico Fermi, geboren am 29. September 1901 in Rom, dessen Forschungen die Nutzung der Atomenergie ermöglichten. Er erhielt 1938 den Nobelpreis für Physik und verließ im gleichen Jahr mit seiner Frau und seinen zwei Kindern Italien. Nach einer Lehrtätigkeit an der Columbia Universität in New York übersiedelte er nach Leonia/New Jersey und unterrichtete schließlich an der Universität von Chicago. 1942 wurde unter seiner Leitung die erste Atomenergieanlage der Welt in Betrieb genommen, außerdem war er an den ersten Atombombenversuchen beteiligt; er verstarb 1954 in den USA.Nach dem Putsch des Generals Francisco Franco Bahamonde im Jahre 1936 flüchteten im Verlauf des folgenden Bürgerkriegs fast 400000 republikanische Spanier nach Frankreich, unter ihnen Pablo Casals, der am 29. Dezember 1876 in Vendrell bei Tarragona geboren wurde, einer der bedeutendsten Cellisten der Neuzeit. Casals mied als Feind aller Diktaturen zunächst die Sowjetunion, später auch das faschistische Italien und das nationalsozialistische Deutschland sowie schließlich das Franco-Regime in Spanien. 1939 ließ er sich in der kleinen französischen Stadt Prades in den Ostpyrenäen nieder, wo er eine Hilfsaktion für Spanienflüchtlinge organisierte. Aus dieser freiwilligen Abgeschiedenheit wollte er nicht mehr hervortreten. »Die Tränen der Opfer der Unmenschlichkeit sind mir wichtiger als alle meine Cellokonzerte«, sagte er einmal. Sein zweiter Wohnsitz wurde ab 1956 Puerto Rico, wo er am 22. Oktober 1973 in San Juan verstarb.Unter der Diktatur des Nationalsozialismus in DeutschlandDie nationalsozialistische »Machtergreifung« löste in Europa eine weitere Emigrationswelle aus. Während die erzwungene jüdische Auswanderung größtenteils von außereuropäischen Ländern (Palästina, USA, Lateinamerika) aufgenommen wurde, konzentrierte sich die politische Emigration in Frankreich, in der Tschechoslowakei, in Skandinavien und in der UdSSR sowie nach Kriegsbeginn in Großbritannien und in den USA. Die Aktivitäten der deutschen politischen Emigranten bestanden vor allem darin, die Weltöffentlichkeit über das nationalsozialistische Deutschland aufzuklären und — allerdings zunehmend schwächer werdende — Kontakte zu innerdeutschen Widerstandsgruppen herzustellen. Zum geringeren Teil beteiligten sie sich an ausländischer Propaganda und der alliierten Kriegführung. Nach 1941 verlagerte sich das Schwergewicht auf die Programmdiskussion über eine unabhängige demokratisch-soziale Republik nach Hitler. Die Tätigkeit der deutschen Emigranten schlug sich in einer umfangreichen politischen Literatur, in vielen Zeitungen und Zeitschriften nieder.Folgende Biographien können nur einen Teil der vielfältigen Wege der Emigration beschreiben, doch stehen sie beispielhaft für viele andere Schicksale:Hannah Arendt, geboren am 14. Oktober 1906 in Hannover, studierte Theologie, Griechisch und Philosophie, unter anderem bei Martin Heidegger, mit dem sie eine jahrelange Freundschaft verband. 1933 wurde sie als Jüdin von der Gestapo verhaftet und musste das Land verlassen. Sie arbeitete bis 1940 in Paris als Leiterin einer Organisation, die jüdische Waisenkinder nach Palästina brachte, und studierte außerdem europäische Geschichte. 1940 floh sie angesichts der drohenden Besetzung Frankreichs in die USA, wo sie ab 1952 als politische Philosophin, freie Schriftstellerin und Professorin für Politische Theorie an den Universitäten von Chicago und Princeton lehrte. Auf ihren Reisen kam sie jedoch immer wieder nach Europa, so auch in die Bundesrepublik Deutschland.Der am 18. Dezember 1913 in Lübeck als Herbert Frahm geborene Willy Brandt hatte sich bereits als Schüler der sozialistischen Jugendbewegung angeschlossen; mit 16 Jahren trat er der SPD bei. Da ihm diese zu kompromissbereit erschien, wechselte er 1931 zur Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP). Nach der »Machtergreifung« der Nationalsozialisten in Deutschland ging er für kurze Zeit unter dem Namen Willy Brandt in den Untergrund, bis er im April über Kopenhagen nach Oslo floh, wo er seine politische Arbeit fortsetzte. Die 2. Hälfte des Jahres 1936 verbrachte er unter dem Namen Gunnar Gaasland in Berlin, wo er sich als norwegischer Student ausgab, und leitete hier die Untergrundorganisation »Metro«. Anschließend hielt sich Brandt 1937 als Pressekorrespondent auf republikanischer Seite in Spanien auf und sorgte auf Reisen in die Niederlande, nach Belgien, Frankreich, Großbritannien und in die Tschechoslowakei für den Kontakt zwischen deutschen sozialistischen Exilgruppen. 1938 wurde er von den deutschen Behörden ausgebürgert und erhielt die norwegische Staatsangehörigkeit. Im Jahr 1939 war er einer der drei Sekretäre der norwegischen Volkshilfe, die sich unter anderem während des Winterkriegs der humanitären Hilfe für Finnland annahm. Vor der deutschen Besetzung verließ er Oslo, ließ sich bei der Kapitulation am 1. Mai 1940 in der Nähe von Andales als norwegischer Soldat gefangen nehmen und floh anschließend nach Schweden. In den Jahren 1940 bis 1945 betätigte er sich unter dem Namen Felix Franke journalistisch und politisch in Stockholm. In der »Kleinen Internationalen« arbeitete er unter anderem mit dem späteren österreichischen Bundeskanzler Bruno Kreisky zusammen. Von 1945 bis 1947 war er Deutschlandberichterstatter skandinavischer Zeitungen, zeitweise auch Presseattaché der norwegischen Vertretung in Berlin. Als Korrespondent hat er auch am Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess teilgenommen. 1947 ließ er sich wieder in Schleswig-Holstein, jetzt offiziell unter seinem Pseudonym Brandt, in Deutschland einbürgern.Der deutsche Schriftsteller und Regisseur Bertold Brecht, geboren am 10. Februar 1898 in Augsburg, begann ab 1926 sich intensiv mit dem dialektischen Materialismus auseinander zu setzen. Er hielt verstärkt Kontakt zu marxistischen Theoretikern und sozialistisch engagierten Künstlern und besuchte 1928/29 die »Marxistische Arbeiter-Schule«. Die experimentelle Phase, in der Brecht sein episch-dialektisches Theater konzipierte (zum Beispiel die »Dreigroschenoper«), endete mit der Emigration. Nur einen Tag nach dem Brand des Reichstages, am 28. Februar 1933, verließ er zusammen mit seiner Familie Deutschland, um nationalsozialistischer Verfolgung zu entkommen. Über Prag, Wien, Zürich und Paris führte ihn seine Flucht nach Dänemark. Von August 1933 bis März 1939 lebte er in Skovbostrand bei Svendborg. Es wurde seine literarisch produktivste Zeit. Im Jahre 1935 reiste er nach Rom und nach Paris. Nach dem Beginn des Zweiten Weltkriegs 1939 verlegte Brecht seinen Wohnsitz nach Lidingo bei Stockholm. Er ging von dort im April 1940 nach Helsinki und im Sommer 1941 über Moskau und Wladiwostok nach Santa Monica in Kalifornien. Am 30. Oktober 1947 wurde Brecht von dem »Komitee für Unamerikanische Umtriebe« wegen des Verdachts kommunistischer Betätigungen verhört. Einen Tag später reiste er über Paris nach Zürich. Vergeblich bemühte er sich von dort um die österreichische Staatsbürgerschaft. Da man Brecht die Einreise in die westlichen Besatzungszonen Deutschlands verweigerte, folgte er im Oktober 1948 einer Einladung des ostzonalen »Kulturbunds« nach Ostberlin. Er nahm in Weißensee im Herbst 1949 seinen Wohnsitz und gründete das Berliner Ensemble.Albert Einstein, geboren am 14. März 1879 in Ulm und aufgewachsen in München, siedelte 1894 in die Schweiz über; 1901 erhielt er die Schweizer Staatsbürgerschaft. Er war Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Physik in Berlin; dennoch veranlassten ihn 1933 nationalsozialistische Angriffe aufgrund seiner jüdischen Herkunft zum Verzicht auf seine akademischen Ämter in Deutschland. Er emigrierte in die USA, wo er 1940 die amerikanische Staatsbürgerschaft erhielt. Obwohl er ein überzeugter Pazifist war, gab er aus Furcht vor deutschen Aggressionen den Anstoß zum Bau von Atombomben. Nach dem Zweiten Weltkrieg distanzierte er sich aber angesichts der Gefahren von Kernwaffen.Der sozialdemokratische Politiker und spätere Regierende Bürgermeister von Berlin, Ernst Reuter, geboren am 29. Juli 1889 in Apenrade, studierte nach abgeschlossener Gymnasialschulzeit Volkswirtschaft in Marburg und trat bereits 1912 der SPD bei. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs war er Mitbegründer der pazifistischen Gesellschaft »Neues Vaterland«. Schwer verwundet geriet Reuter in russische Kriegsgefangenschaft. In Russland schloss er sich den Bolschewiki an und kam mit Lenin in Berührung, der ihn 1918 als Volkskommissar nach Saratow in die Wolga-Republik entsandte. 1918 kehrte er nach Deutschland zurück, wo er 1920 drei Monate lang als Generalsekretär die Leitung der Kommunistischen Partei innehatte. Die beim kommunistischen Aufstand in Mitteldeutschland praktizierte Politik der Kommunisten führte ihn jedoch 1921 wieder zur Sozialdemokratischen Partei zurück. Er wurde Redakteur ihres Zentralorgans »Vorwärts« in Berlin. 1926 übernahm er dann im Berliner Magistrat das Dezernat Verkehrs- und Versorgungsbetriebe und wurde zu einem der Initiatoren der Berliner Verkehrsgesellschaft. 1931 wählte ihn Magdeburg zum Oberbürgermeister und 1932 auch in den Reichstag. 1933 gehörte er sogleich zu den Verfolgten des nationalsozialistischen Regimes. Er wurde als Oberbürgermeister abgesetzt und zweimal in ein Konzentrationslager gesperrt. Angesichts der drohenden dritten Verhaftung ging er ins Ausland und wurde in der Türkei Berater des Wirtschafts- und Verkehrsministeriums. 1939 erhielt er dort auch eine Professur für Kommunalwissenschaft in der Verwaltungsakademie für höhere türkische Beamte in Ankara. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs kehrte er nach Deutschland zurück, wo er erneut das Berliner Verkehrsdezernat übernahm. Am 25. Juni 1947 wurde er zum Oberbürgermeister von Berlin gewählt. Die russische Militärregierung lehnte Reuter jedoch mit der Begründung ab, dass er in die Türkei gegangen war und für die dortige »profaschistische« Regierung gearbeitet habe.Osteuropa nach dem Zweiten WeltkriegDer russische Schriftsteller und Literaturnobelpreisträger Aleksandr Issajewitsch Solschenizyn wurde am 11. Dezember 1918 in Kislowodsk im Nordkaukasus geboren. Während des Zweiten Weltkriegs führte er als Hauptmann eine Flakbatterie. In dieser Zeit fielen dem Abschirmdienst Feldpostbriefe von ihm in die Hände, in denen er sich abfällig über Stalin äußerte, worauf er zu acht Jahren Straflager verurteilt wurde. Nach seiner Entlassung blieb er in Verbannung; 1957 rehabilitiert; unterrichtete er Physik an einer Oberschule der Stadt Rjasan, bis er 1962 das Schreiben zu seinem Beruf machte. Seine Werke waren der staatlichen Kritik ausgesetzt; im Jahr 1966 erschien die letzte offizielle Publikation in der Sowjetunion. Nach einem Konflikt mit dem sowjetischen Schriftstellerverband erfolgte 1969 sein Ausschluss. Obwohl Solschenizyn 1970 der Nobelpreis für Literatur zuerkannt wurde, wurde ihm die Reiseerlaubnis zur Entgegennahme verweigert. Am gleichen Tag trat er einer von Andrej Dmitrijewitsch Sacharow geleiteten Bürgerrechtsorganisation bei, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, am sowjetischen Staat »konstruktive Kritik« zu üben. Dies und das Manuskript des »Archipel Gulag« hatten zur Folge, dass er am 12. Februar 1974 verhaftet, ausgebürgert und in die Bundesrepublik Deutschland abgeschoben wurde. Nach einer Zwischenstation in der Schweiz verließ er Europa und übersiedelte mit seiner Familie in die USA. In der Zeit seines Exils sorgte er mit kontrovers diskutierter Literatur sowie zahlreichen Interviews und Vorträgen dafür, dass er nicht in Vergessenheit geriet. Anklang und Ablehnung fand er sowohl in den westlichen Demokratien als auch im Lager der sowjetischen Regimekritiker. Ab Juli 1989 rehabilitierte ihn die Sowjetunion schrittweise: Er erhielt seine Bürgerrechte zurück, eine 1974 erhobene Anklage wegen »Vaterlandsverrats« wurde aufgehoben, und der Generalstaatsanwalt sprach eine Entschuldigung aus. Am 27. März 1994 kehrte Solschenizyn nach mehrmaliger Ankündigung aus seinem zwanzig Jahre währenden Asyl zurück; er enthält sich auch jetzt nicht der Kritik an der russischen Regierung.In Iran hatte sich schon früh eine Opposition gegen die Herrschaft der Pahlewi-Dynastie besonders innerhalb der schiitischen Geistlichkeit gebildet. Ruhollah Mussawi Hendi Khomeini, aufgestiegen zu einem bedeutenden islamischen Gelehrten in Kum, dem Zentrum theologischer Gelehrsamkeit in Iran, kritisierte den »unislamischen« Modernismus der Pahlewi-Herrscher. 1964 als Führer der Opposition gegen die »weiße Revolution« Mohammed Resa Schahs nach blutigen Demonstrationen in die Türkei abgeschoben, ging er von dort nach Nedjef in Irak ins Exil, wo Ali, der Begründer der Schia, begraben ist. Er sammelte die Gegner des Schahregimes unbeschadet ihrer unterschiedlichen gesellschaftlichen Auffassungen um sich und schmiedete aus ihnen revolutionäre Kader, die zum Sturz der Pahlewi-Dynastie bereitstanden. 1978 aus Irak ausgewiesen, ging er nach Frankreich und organisierte von dort den Sturz des Schahs. Nach dessen Vertreibung kehrte er 1979 nach Iran zurück und übernahm mit der Ausrufung der Islamischen Republik Iran die geistliche Führung des Landes.Nach der blutigen Unterdrückung der Demonstrationen von 1963 sah sich Abo l-Hasan Bani Sadr, der Sohn eines Ayatollahs und spätere iranische Staatspräsident, zum ersten Mal ins Exil gezwungen und ging nach Paris. Er stammt aus einer stark islamisch geprägten Familie, die ihren Stammbaum auf Ali zurückführt. Bereits als junger Intellektueller stand er in Opposition zum Regime des Schahs und hatte Ministerpräsident Mohammed Mossadegh im Kampf um die Verstaatlichung der iranischen Erdölindustrie unterstützt. Im Pariser Exil gab er das Blatt »Khabar Nahme« heraus, das sich dem Kampf gegen das Herrscherhaus Pahlewi in seiner Heimat verschrieben hatte. Er kam dort in Kontakt mit Ayatollah Khomeini. Als dieser 1978 sein Exil in Irak verlassen musste und sich in der Nähe von Paris niederließ, gehörte Bani Sadr zum engen Beraterkreis Khomeinis. Er hatte in diesem Kreis wesentlichen Anteil an der Strategie, die Anfang 1979 zum Sturz des Schahregimes und zur Ausrufung der Islamischen Republik Iran führte. 1980 zum iranischen Staatspräsidenten gewählt, geriet er aufgrund seiner maßvollen Haltung in gesellschaftlichen und außenpolitischen Fragen in Konflikt mit den radikalislamischen Kräften in seinem Lande, die 1981 seine Absetzung durchsetzten. Er ging zum zweiten Mal ins Exil nach Paris und begründete dort als Exilpräsident einen »Nationalen Widerstandsrat«. In das Licht einer größeren Öffentlichkeit trat Bani Sadr im August 1996 als Zeuge im Berliner Mykonosprozess gegen die Attentäter kurdischer Gegner des islamistischen Regimes in Iran, als er bei dieser Gelegenheit den damaligen Staatspräsidenten Hodjatoleslam Ali Akbar Rafsandjani und den religiösen Führer im Iran Hodjatoleslam Ali Khamenei persönlich für die Attentate verantwortlich machte.Unter dem Druck des Apartheidregimes in der Republik Südafrika gingen besonders nach dem Massaker von Sharpeville 1960 schwarze Politiker, unter anderem Oliver Reginald Tambo und Thabo Mbeki, beide aus dem Volk der Xhosa, ins Exil. Von 1958 bis 1967 Vizepräsident des African National Congress (ANC) sowie von 1967 bis 1991 dessen Präsident, organisierte Tambo von verschiedenen afrikanischen Städten aus den politischen Widerstand gegen das Apartheidregime und unternahm weltweit zahlreiche diplomatische Initiativen in diesem Sinne. Nach der Aufhebung des Verbots des ANC in der Republik Südafrika 1990 kehrte er dorthin zurück. Mbeki, zunächst als Führer verbotener Studentenorganisationen tätig, ging auf Anraten Nelson Mandelas 1962 ins Ausland, zunächst nach Großbritannien, wo er seine in Südafrika begonnenen Studien fortsetzte. Später stieg er in der Hierarchie des ANC auf. Als Informationsdirektor des ANC in Lusaka gewann er weltweites Ansehen und stand als einer der jüngeren Führer bereits vor der Wiederzulassung des ANC in der Republik Südafrika im Ruf eines »Kronprinzen«. Er wurde 1994 Vizepräsident der Republik Südafrika und 1997 Präsident des ANC.Im Kampf zwischen den äußerst unterschiedlichen — diktatorischen, konservativ-oligarchischen oder demokratisch-reformorientierten — Regierungssystemen Lateinamerikas gingen Politiker — Präsidenten, Regierungs- oder Oppositionspolitiker —, Schriftsteller, Journalisten und andere Persönlichkeiten des öffentlichen und kulturellen Lebens ins benachbarte oder ferne Ausland ins Exil. Nach seinem Sturz als argentinischer Präsident lebte Juan Domingo Perón von 1955 bis 1973 im Exil, seit 1958 in Spanien, und suchte von dort aus Einfluss auf die Politik seines Landes zu nehmen. Nach der Ermordung ihres Onkels Salvador Allende Gossens 1973, der 1970 mit den Stimmen von Volksfront und Christlichen Demokraten zum Staatspräsidenten Chiles gewählt worden war, ging seine Nichte, die Schriftstellerin Isabel Allende, 1974 nach Venezuela. 1982 erschien ihr erster Roman »Das Geisterhaus«, eine chilenische Familiensaga im 20. Jahrhundert.Die Struktur des GastlandesGruppen in der Diaspora oder im Exil können nur in Gastländern mit einem gewissen universalistischen Anspruch erfolgreich funktionieren, das heißt ihren sozialen Zusammenhalt bewahren und unter angemessenen wirtschaftlichen Bedingungen leben. Dies galt in der Vergangenheit in bestimmten Perioden für Reiche wie das Römische Reich, das Kalifenreich, das Osmanische oder das Habsburgische Reich. Dies gilt heute für Länder, die sich als Emigrationsländer mit einem multi-ethnischen Anspruch und einer universalistischen Tradition verstehen wie die USA oder Indien. In diesen Staaten konnten zahlenmäßig relativ kleine Gruppen ohne den Anspruch auf einen eigenen politischen Apparat durch ihre internationalen wirtschaftlichen Verbindungen und eigene Informationsnetze für die Zentralmacht interessant sein; dies galt zum Beispiel auch in der Vergangenheit für die Hugenotten in Preußen. Das Problem der Identitätsbewahrung und der Sozialisation stellte sich in einer milden Form bereits im Römischen und im Osmanischen Reich. Die Ethnien blieben jeweils unter sich in mosaikartig angeordneten Gebilden. Flüchtlinge konnten Annehmlichkeiten eines Reiches genießen und trotzdem ihrer ursprünglichen Identität über Generationen hinweg treu bleiben. Auf der anderen Seite konnten diese Reiche von der Akzeptierung großer flüchtender ethnischer Gruppen profitieren, insofern diese keine konkreten innenpolitischen Ziele verfolgten. Heute hat sich die Situation nicht grundlegend geändert. Die USA haben es durch ihre ganze Geschichte hindurch sehr gut verstanden, große Zuströme von Migranten, meist Flüchtlinge, in ihre gesamte Struktur einzubetten und auszunutzen oder zu benutzen. Flüchtlinge wurden oft in Gebieten angesiedelt, aus denen die angestammte Bevölkerung vertrieben wurde oder durch Ansiedlung vertrieben werden sollte. In diesen Gebieten sollte unter Ausnutzung der durch die Ansiedlung entstehenden Spannungen eine effektive Herrschaft ausgeübt werden.Die Stellung der Flüchtlinge im Gastland und ihre Möglichkeiten, eine produktive Symbiose mit dem Gastland eingehen zu können, hängt zum großen Teil von dessen Struktur ab, doch auch Ausbildung und Sprachkenntnisse der Emigranten spielen eine Rolle. Die Geschichte der Emigration zeigt, dass die Konfrontation zwischen Exilgruppen, die ihre Identität bewahren wollen, und ideologisch einseitig ausgerichteten Staaten Gefahren mit sich bringt.Prof. Dr. Abraham AshkenasiMigration in Europa. Historische Entwicklung, aktuelle Trends und politische Reaktionen, herausgegeben von Heinz Fassmann und Rainer Münz. Aus dem Englischen. Frankfurt am Main u. a. 1996.Das weltweite Flüchtlingsproblem. Herausgegeben von Abraham AshkenasiBremen 1988.Winzer, Fritz: Emigranten. Geschichte der Emigration in Europa. Frankfurt am Main u. a. 1986.
Universal-Lexikon. 2012.